Geben Sie nicht auf
Predigt zum Drittletzten Sonntag im Kirchenjahr -
10. November 2013
Prädikant Klaus Gronwald, Marienloh
V. Reihe: Lukas 18, 1-8
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und
die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Lieber Herr, du hast verheißen, dass du uns ganz nahe bist. Und
dennoch bist du uns so fern. Du hast durch Jesus Christus verkündet,
dass du uns erhörst, wenn wir zu dir beten. Und dennoch fühlen wir
uns manchmal allein mit unseren Sorgen und Nöten. Uns ist gesagt,
dass du gerne hilfst. Und dennoch haben wir häufig das Vertrauen
verloren. Schenke uns, dass wir die Geduld nicht verlieren und nicht
aufhören, von dir alles zu erwarten. Amen.
„Wir warten Dein, o Gottes Sohn und lieben dein Erscheinen.“ Ja, das ist leicht gesagt und auch leicht gesungen. Und dann müssen wir zum Ende des Kirchenjahres Texte hören und bedenken, die uns eher Angst machen statt Vertrauen vermitteln. In der Offenbarung des Johannes wird uns viel über das Endgericht berichtet mit vielen erschreckenden Bildern; von dem Buch mit den sieben Siegeln und furchteinflößenden Tieren wird erzählt. Gerade in diesen Tagen, da verheerende Stürme über die Philippinen und Hinterindien jagen, könnte man meinen, die Apokalypse hätte bereits begonnen. All das kann uns Angst einjagen. Schon als ich in den Kindergottesdienst ging, wurde damals sogar mit den Endzeitbildern den Kindern Angst gemacht. Und was wäre, wenn wir dann am Ende aller Tage vor dem Gericht stehen, welches der Seher Johannes in der Offenbarung beschreibt, und haben einen ungerechten Richter vor uns?
Jesus benutzt das Bild von solch einem Richter in einem Gleichnis:
Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage. Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte Gott nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze. Doch wenn der Menschensohn kommen wird, meinst du, er werde Glauben finden auf Erden? (Lukas 18, 1-8)
Die wenigen Bemerkungen, die Jesus über diesen ungerechten Richter macht, reichen aus. Wir wissen Bescheid, wir können ihn uns vorstellen. Solche Menschen gibt es auch noch heute. Korrupt ist er und nur auf seinen Vorteil aus, bequem ist er und nicht so leicht zu bewegen, das zu tun, was seines Amtes ist. Vollkommen lieblos ist er und nur auf seinen eigenen Vorteil aus. Dabei ist es ihm egal, was andere Leute von ihm halten. Selbst das Gerede über ihn stört ihn überhaupt nicht. Denn er ist sich seiner Sache sicher. Was kann man ihm schon anhaben!?
Ich vermute mal, jede und jeder von Ihnen kennt das, wie das ist, wenn man Erfahrungen macht mit einem Menschen, der sich so verhält. Das Schlimmste dabei ist, dass man in eine Art Abhängigkeit von solch einem Menschen geraten kann, etwa bei Ämtern oder wie hier vor Gericht, so, wie es Jesus im Beispiel beschreibt: Da kommt eine arme Witwe und bittet diesen Richter um Hilfe; aber der reagiert erst gar nicht. Sie wird seine Leistung im Leben nicht bezahlen können, also wird erst gar keine Zeit investiert, ihr zuzuhören. Aber die Witwe lässt sich nicht einschüchtern. Sie kennt ihr Recht und weiß, dass es ihr zusteht, ihren Anspruch vorzutragen und durchzusetzen.
So arm und allein auf sich gestellt Witwen in der damaligen Zeit auch waren, so hatten sie doch eine bestimmte Rechtsposition im damaligen Israel. Sie konnten im Tor, das heißt vor dem öffentlichen Gericht, ihr Recht einklagen. Und dazu brauchten sie eben einen Richter, der sich ihrer Sache annahm. Dass das nicht immer klappte, wissen wir aus etlichen Berichten des Neuen Testamentes, zum Beispiel heißt es im Markusevangelium: Seht euch vor den Schriftgelehrten vor, die gern in langen Gewändern gehen und sich auf dem Markt grüßen lassen und sitzen gern in den Synagogen und am Tisch beim Mahl; sie fressen die Häuser der Witwen und verrichten zum Schein lange Gebete. (Mk 12,39f.)
Ob der Richter auch so einer gewesen ist? Mag sein. Fest steht jedenfalls, dass die Witwe ihn braucht, um endlich ihr Recht zu bekommen. Dabei werden wir im Unklaren darüber gelassen, worum es dabei ging. Wir erfahren nicht, was sie im Einzelnen erreichen wollte. Wir hören eben nur, dass sie ihr Recht beansprucht. Und das reicht für die Geschichte aus. Sie will das, was ihr zusteht, mehr nicht!
Das erzählt Jesus als ein Gleichnis, d. h. es geht um etwas vergleichbar Anderes. Wir spüren etwas von dem Überlebenswillen, dem Selbsterhaltungstrieb dieser Frau, ein Gefühl, das von dem Richter gar nicht aufgenommen, gar nicht bemerkt wird. Er wird sich erst nicht besonders angesprochen gefühlt haben von dieser Frau; das erlebt er doch tagtäglich, dass da jemand etwas von ihm will und dazu noch eine Frau. Wenn ich mich taub stelle und das aussitze, dann wird sie schon von dannen ziehen, so wird er gedacht haben und dachte dabei auch an die vielen Menschen, bei denen diese Haltung bereits geglückt war.
Wir kennen das: Probleme werden ausgesessen und totgeschwiegen, so wird selbst mit den schwierigsten Dingen und größten Schwierigkeiten umgegangen. Auch heute gibt es dafür noch unzählige Beispiele: Wir werden einfach stehen gelassen, der Telefonhörer nach ein paar unverbindlichen Höflichkeitsfloskeln einfach aufgelegt, der Brief nicht beantwortet. „Wir werden das im Auge behalten,“ oder sowas Ähnliches wird vielleicht noch gesagt, vielleicht damit wir wissen, dass nichts geschehen wird. So vergeht erst einmal Zeit und vielleicht verläuft die Sache im Sande.
Doch die Witwe gibt nicht auf. Sie besteht beharrlich auf ihrem Recht. Stetes Wasser höhlt den Stein. Und tatsächlich scheint der Knoten hier zu platzen: Es bewegt sich etwas, der ungerechte Richter geht in sich und denkt noch einmal nach: „Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir soviel Mühe macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.“ Sicher ändert sich der Richter nicht grundsätzlich, aber in diesem einen Punkt gibt er nach. Er bekommt Angst vor einem Gefühlsausbruch der Witwe, mit dem er nicht umgehen könnte. Er ahnt, was geschieht, wenn er noch länger stur bleibt. Die Witwe, die sicher nichts mehr zu verlieren hat, wird sich dieses Aussitzen nicht gefallen lassen und sich rächen: damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht schlage.
Sie werden in Gedanken sicherlich schon Rollen verteilt haben in diesem Gleichnis. Mit dem Richter im Gleichnis kann doch nur Gott gemeint sein, der uns Gerechtigkeit verschaffen soll. Ist denn Gott ein ungerechter Richter? Nein, der übertragende Sinn ist hier gemeint. Der Richter wird bewusst als Negativbeispiel dargestellt, damit wir sehen, dass Gott tatsächlich ganz anders handelt. Wenn sich schon ein solch ungerechter Richter letztlich bequemt, dieser armen Witwe, dieser bedrängten Frau Recht zu verschaffen, um wie viel mehr wird Gott das für seine Auserwählten tun? Sogar dieser Menschenverächter konnte schließlich dazu gebracht werden, seines Amtes zu walten, wie viel mehr darf man bei Gott damit rechnen. Dieses muss immer wieder neu gesagt werden, denn das ist die Botschaft dieses kleinen Gleichnisses, das ist die Botschaft des gesamten Neuen Testamentes: Ich lebe und ihr sollt auch leben. An diesem Sonntag, der so klein und unscheinbar vor dem Volkstrauertag und dem Ewigkeitssonntag seinen Platz einnimmt, hören wir von der unglaublichen Treue Gottes, er wird sein Versprechen einhalten. Und was bleibt für uns übrig? Was haben wir zu tun? Finden wir uns überhaupt wieder in diesem Gleichnis?
Ich sehe mich an der Seite der Witwe. Ich fordere ein Recht ein. Ein Recht, das ich auf Christus gründe. Jesus Christus hat dieses Recht für uns durchgesetzt: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war.“
Darauf dürfen wir uns berufen. Wenn diese Welt ihrem Ende entgegen geht oder mein Leben seinem Ende entgegen geht, werde ich mich auf diese Aussage verlassen: Ich will dahin gehen, wo Christus ist. Diese Rechtsposition hat Jesus Christus für Sie und mich durchgesetzt. Damit ich sie in Anspruch nehmen kann - das habe ich durch diese Geschichte gelernt - muss ich wie die Witwe nicht nachlassen, sondern immer wieder darum bitten. Denn Recht haben und Recht bekommen sind unterschiedliche Dinge. Gott wird mich nicht abweisen. Was er einmal zugesagt hat, das wird er für jeden von uns tun. Allerdings ist es kein Selbstläufer. Denn ich muss seine Verheißungen annehmen, damit ich mich auf sie berufen kann. Darum beginnt das Gleichnis auch mit der Begründung: „Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht nachlassen sollten…“
„Wir warten Dein, o Gottes Sohn und lieben dein Erscheinen.“ Ja, wenn dieser Tag eintritt, dass Jesus selbst wieder erscheint, dann wird die Zeit zu knapp sein, um die Forderung zu erfüllen „allezeit zu beten und nicht nachzulassen“. Dann muss meine Rechtsposition gesichert sein, dann muss ich Gott auf meiner Seite haben.
Und wir werden spüren, dass Gott nicht so ist wie dieser unmenschliche Richter. Er wird uns nicht abweisen. Er wird uns wie den verlorenen Sohn mit offenen Armen empfangen, und seine Barmherzigkeit werden wir erfahren, seine Gerechtigkeit werden wir erleben.
Da bleibt zum guten Schluss nur eine Empfehlung: Geben Sie nicht
auf. Bitten Sie ihn, dass er Ihnen die Gewissheit gibt, dass Sie
eingeschlossen sind in sein großes Erlösungswerk, das er mit Jesus
Christus vollzogen hat. Und dabei haben wir es viel leichter als die
Witwe: denn das Recht hat er uns bereits verschafft. Es reicht aus,
dass wir zu Christus „Ja“ sagen, ihm glauben und vertrauen. Das ist
die große Entdeckung, die Martin Luther bei Paulus gemacht hat und
die die Grundlage für eine neue Sichtweise des Glaubens bildete. Am
Reformationsfest haben wir viel davon gehört. Der Apostel Paulus
drückte das so aus: Wir „werden ohne Verdienst gerecht aus seiner
Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. So
halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes
Werke, allein durch den Glauben.“
Amen.
© Ev. Kirche Bad Lippspringe 13.11.13